Digitaler Nachlass – wichtiges Urteil des Bundesgerichtshofs
Rechtsgebiete wie das Datenschutzrecht oder das Internetrecht befinden sich derzeit in einer stürmischen Weiterentwicklung. Für unsere Mandaten verfolgen wir fortlaufend Änderungen von Gesetzgebung und Rechtsprechung. Kürzlich erging ein Aufsehen erregendes Urteil des Bundesgerichtshofs zum digitalen Nachlass (BGH-Urteil vom 12. Juli 2018, Aktenzeichen III ZR 183/17).
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Die Mutter einer verstorbenen Account-Inhaberin klagte gegen ein soziales Netzwerk
Die Klägerin ist Mutter einer 15-jährigen Tochter, die bei einem U-Bahn-Unglück verstarb. Die Eltern der Fünfzehnjährigen bildeten nach dem Tod ihrer Tochter eine Erbengemeinschaft.
Die Beklagte ist die Betreiberin eines sozialen Netzwerkes. Bei diesem Netzwerk hatte die Tochter der Klägerin als 14-jährige mit Einverständnis ihrer Eltern ein Nutzerkonto eingerichtet.
Um die näheren Umstände des Todes ihrer Tochter aufzuklären, insbesondere um mögliche Suizid-Motive aufzuspüren, bemühte sich die Klägerin zunächst um Zugriff auf den Account ihrer Tochter.
Der Netzwerk-Betreiber hatte das Benutzerkonto aber bereits in den „Gedenkzustand“ versetzt, so dass ein Zugriff mit den bisherigen Zugangsdaten nicht mehr möglich war. Die Konto-Inhalte blieben jedoch auch im Gedenkzustand erhalten.
Die Klägerin verlangte von der Beklagten, den Angehörigen der Erbengemeinschaft einen vollständigen Zugang zum Nutzerkonto einzuräumen. Die Mutter der Verstorbenen machte geltend, dass die Erbengemeinschaft den Kontozugang benötige,
• um Aufschluss über eine mögliche Suizid-Absicht der Tochter zu erhalten und
• um Schadenersatzansprüche des U-Bahn-Fahrers abwehren zu können.
Erstinstanzlich hatte das Landgericht Berlin dem Klageantrag stattgegeben (Urteil LG Berlin vom 17. 12.2015, Aktenzeichen 20 O 172/15).
Nachdem die Beklagte Berufung eingelegt hatte, änderte das Kammergericht das Urteil des Landgerichts ab und wies die Klage in zweiter Instanz zurück (Urteil Kammergericht vom 31.05.2017, Aktenzeichen 21 U 9/16).
Gegen dieses Urteil richtete sich nunmehr der Revisionsantrag der Klägerin.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Kammergerichts auf und stellte das Urteil des Landgerichts wieder her.
Der BGH urteilte, dass die Erbengemeinschaft einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung des Zugangs zum Nutzerkonto der Erblasserin einschließlich aller Kommunikationsinhalte hat.
• Dies ergebe sich aus dem zwischen der Beklagten und der verstorbenen Tochter abgeschlossenen Nutzungsvertrag. Die Rechte aus diesem Vertrag sind laut BGH durch Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 Absatz 1 BGB) auf die Erben übergegangen.
Die Bundesgerichtshof befasste sich eingehend mit der Frage, ob nicht doch einen Rechtsgrund existiert, der für den Ausschluss der Vererblichkeit von Rechten aus dem Benutzervertrag sprechen könnte.
Aus den Bestimmungen des Nutzervertrags ergebe sich, so der BGH, jedenfalls kein Ausschluss der Vererblichkeit.
• Die Nutzungsbedingungen enthielten keine diesbezüglichen Regelungen.
• Hinsichtlich der Bestimmungen zum „Gedenkzustand“ fehle es schon an einer wirksamen Einbeziehung in den Vertrag. Zudem seien die vorhandenen Klauseln unwirksam, da sie der AGB-Inhaltskontrolle (§ 307 BGB) nicht standhielten.
• Auch das Wesen des Benutzervertrags spreche nicht für eine Unvererblichkeit, da eine „höchstpersönliche Natur“ dieses Vertrags nicht vorliege. Die Pflicht der Beklagten zur Nachrichten-Übermittlung und -Bereitstellung bestehe nicht gegenüber einer bestimmten Person, sondern sei kontobezogen. Es bestehe „kein schutzwürdiges Vertrauen“ darauf, dass Dritte keine Kenntnis von den Kommunikationsinhalten erhalten.
Nach dem Willen des Gesetzgebers gehen, so der BGB, sogar Rechte mit höchstpersönlichem Inhalt auf die Erben über. Als Beispiel führt der Bundesgerichtshof nicht-digitale Dokumente wie persönliche Briefe und Tagebücher an, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge vererbt werden. Die Vererblichkeit digitaler Inhalte sei nicht anders zu bewerten.
Auch das Fernmeldegeheimnis und der Datenschutz stehe dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen.
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